SUSANNE DILGER (KUNST-KOFFER): O-TON

27. APR – 20. JUL 2022
MI 15:00 – 17:00 Uhr
Rudolphsplatz

KUNST-KOFFER AM RUDOLPHSPLATZ

Bettina Pelz im Gespräch mit Susanne Dilger (KUNST-KOFFER / AG KUNST),
veröffentlicht am 26. APR 2022

Wann hast du mit dem KUNST-KOFFER angefangen?

2007 haben wir uns in der KunstWerkStatt Gedanken gemacht, wie wir mobil werden und die Kinder, die nicht zu uns kommen, mit einem künstlerischen Angebot erreichen können. Wir haben uns dann umgeschaut und uns für das Konzept von Titus Grab aus Wiesbaden entschieden. Für Vorbereitung und Umsetzung und Finanzierung benötigten wir ca. ein Jahr Vorlauf.

2008 im April eröffneten wir unsere erste Haltestelle am Richtsberg; im September des gleichen Jahres die zweite im Stadtwald, 2010 kam das Waldtal hinzu. Auch im Landkreis gibt es noch zwei Haltestellen (Kirchhain und Neustadt). Nun kommen wir auch zentral in die Stadt – zum Rudolphsplatz.

Wie hat sich die Arbeit mit dem KUNST-KOFFER über die Jahre verändert?

Das Tun der Kunst-Koffer Träger_innen ist gleich geblieben: wir kommen regelmäßig an den anberaumten öffentlichen Ort – bei jedem Wetter – wir öffnen die Koffer mit den Materialien und legen die Plane aus – es kann losgehen. Im Tun der Teilnehmer_innen hat sich einiges verändert. Über die Jahre können wir beobachten, dass sie ihre Werke nicht mehr so stolz mit nach Hause nehmen, wie früher und wir sehen, dass die Kinder, die teilnehmen, immer jünger werden. Es gibt aber auch immer noch Stammkinder, denen wir über die Jahre ein bisschen beim Wachsen zuschauen konnten und können….

Wie findet ihr eure Teilnehmer_innen?

Die Teilnehmer_innen finden uns … An allen Haltestellen sind wir gut vernetzt mit den Bürgerinitiativen vor Ort. Durch Kontinuität und die Sichtbarkeit im öffentlichen Raum (immer draußen) sind wir zu einem Bestandteil des jeweiligen Stadtteils geworden… Beim KUNST-KOFFER gibt es für die Kinder (ohne Altersbeschränkung – es machen auch manchmal Erwachsene mit) die größtmögliche Freiheit im Tun und von unserer Seite die größtmögliche Verlässlichkeit. Regeln betreffen den Umgang mit dem Material. Das „Sich Einlassen“ kann und darf so lange dauern, wie es braucht… Wenn Kinder dann in den Genuss des versunkenen Tuns neben anderen Kindern kommen, mögen sie dies vielleicht auch ein weiteres Mal erfahren.

Wie sucht ihr die Materialien aus, mit denen ihr arbeitet?

Die Grundausstattung eines jeden KUNST-KOFFERS sind Ton und Farben – Modellieren und Malen – wir halten dies für basale (künstlerische) Fähigkeiten. Manchmal nehmen wir Holz dazu – Stoff, Wolle, Naturmaterialien … Aber eine puristische Ausstattung führt oft zu mehr Konzentration im Arbeiten der Kinder …

Ihr sagt ausdrücklich, dass es keine Vorgaben und keine Qualitätskontrolle gibt. Was ist eure Erfahrung mit dem absichtslosen Experimentieren? Was macht sie so wertvoll?

Das ist so nicht ganz richtig: Wichtig ist, dass es keine inhaltlichen Vorgaben gibt! Dies so beizubehalten ist schwer in einer Welt, die in virtuellen Bildern Perfektion vortäuscht … aber es ist auch unersetzlich, um die Phantasie anzuregen und zu erhalten. Genau das passiert beim Experimentieren. Dafür braucht es vorallem Zeit! Und in diesem Sinne gibt es keine Qualitätskontrolle. Sehr wohl gibt es Rückmeldungen und Reflektion über unser Tun. Wir können Veränderungen/Verschiebungen genau wahrnehmen und benennen.

Warum ist es wichtig im öffentlichen Raum zu arbeiten?

Es ist die partizipatorischste Art, mit Menschen in Kontakt zu kommen.

Was macht den Rudolphsplatz besonders?

Ich bin selbst sehr gespannt auf diesen neuen Standort. Hier ist einiges anders und das Experiment KUNST-KOFFER wird nochmal erweitert: Hier ziehen wir den Kunst-Karren an einen Platz, der mal als Begegnungsort für alle Marburger_innen gedacht war, aber im Laufe seiner städtebaulichen Entwicklung in dieser Hinsicht zu einer Brache geworden ist. Jetzt möchten wir – wie ja auch alle anderen künstlerischen Aktionen, die im Rahmen von .KUNST.LABOR.STADT.PLATZ dort stattfinden – mit dem KUNST-KOFFER dazu beitragen, dass Begegnung und Spiel, Experiment und Muße, Diskussion etc wiederbelebt werden – auch für Kinder …

Wie dokumentiert ihr, was ihr macht? Oder ist das nicht wichtig?

Es gibt KUNST-KOFFER Bücher: Hier geben uns die Teilnehmer*innen ihre Unterschrift (Vorname) als verbindliche wertschätzende Geste. Dies geschieht zu jedem Termin. Im Laufe der Zeit können wir ablesen, wie viele Kinder insgesamt, wie viele immer wieder kommen, zu welchen Zeiten viele oder wenige kommen (wir schreiben zum Beispiel dazu: „Regen“ oder „Ferienbeginn“ etc..) Es bleiben außerdem viele Werke bei uns, die wir alle sammeln. Manchmal gibt es dann andere Ausstellungsformate, um diese zu zeigen….Wir machen selbst viele Fotos und sind ohnehin permanent mit den Teilnehmer_innen im Gespräch, was ich hin – und wieder verschriftliche. Dokumentationsmaterial gibt es also reichlich.

Du bist selbst Künstlerin, beeinflusst die langjährige Arbeit mit dem KUNST-KOFFER auch deine künstlerische Praxis?

Ich glaube, es ist so etwas wie ein „Wechselspiel“, eine Entsprechung- und ein bisschen die Frage nach der Henne und dem Ei.

Nachhaltigkeit ist im Laufe der Zeit ein Thema in meiner künstlerischen Praxis geworden: mit dem zu arbeiten, was da ist und immer in einen Alltag eingebunden zu sein. Es gibt in der Kunst eine Berechtigung aus sich selbst heraus – das ist die größtmögliche Freiheit – aber zugleich gibt es immer auch Kontexte, in die hinein wir wirken. Das ist auch eine Verantwortung. All dies geschieht beim KUNST_KOFFER und ist hoffentlich in meiner eigenen künstlerischen Arbeit ebenso ablesbar.

MARBURG800 ist nicht nur ein Stadtjubiläum, sondern auch eine große Zukunftswerkstatt für die Stadt Marburg. Dazu fragen wir alle Künstler_innen nach ihren Handlungsempfehlungen für Marburg. Was wäre dein Vorschlag?

„Handlungsempfehlungen“ finde ich schwierig . Ich würde mir erstmal wünschen, dass alle freien künstlerischen Initiativen unterstützt werden, um jetzt weiter ihre fantastische Arbeit machen zu können und zu überleben! „Nachhaltigkeit“ ist nicht nur ein ökologischer Begriff. Ich wünsche mir außerdem, dass ab und zu innegehalten wird und wir uns für die Frage: Was brauchen wir? erst einmal überhaupt Zeit nehmen um den Kollaps zu vermeiden.

LINK

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