GUDRUN BARENBROCK: O-TON
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Nach dem Aufbau am 28. März 2022:
Bettina Pelz im Gespräch mit Gudrun Barenbrock
Wir sehen hier die ersten Bilder von deiner Videoinstallation. Wie war es, als am Montagabend um Mitternacht die Arbeit fertig eingerichtet war?
Ich war gespannt, hatte auch Lampenfieber. Ist alles richtig angelegt? Wird die Technik funktionieren? Mit großen Installationen wie dieser ist ja so: Meistens beschäftigt man sich wochen- oder auch monatelang mit einer neuen Arbeit, ohne genau zu wissen, wie sie hinterher vor Ort aussehen wird. Sicher kann man im Vorfeld wesentliche Dinge simulieren, aber die meiste Zeit hockt man doch vor kleinen Abbildungen auf dem Bildschirm und stellt sich Details und Wirkungen größtenteils vor. Dieses „Sich-vorstellen-können“ kann man üben, das muss man auch üben, um keine bösen Überraschungen zu erleben. Wenn dann aber das Video zum ersten Mal am vorgesehenen Platz läuft, ist das natürlich aufregend.
Re:mixed ist der Titel der Arbeit _ worauf bezieht sich das?
Es geht um die Neu-Zusammenstellung von Material, das bereits existiert. In diesem Fall um Video-Footage aus meinem Archiv, aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen und Zeiten, Altes und Neues, auch in Qualität und Ästhetik zum Teil sehr verschieden. Diese Aufnahmen habe ich gesichtet, neu bearbeitet und miteinander kombiniert. Das ist wie beim Sampeln in der Musik. Mit dem Unterschied, dass ich ausschließlich eigenes Material verwende. Lediglich für Marburg habe ich eine Ausnahme gemacht und in einer Sequenz auch Fremdfotos verwendet – die aber eigens für diesen Zweck hergestellt wurden. Sara Förster und Susanne Saker haben mir sehr gutes Material zur Verfügung gestellt.
Was für Bildmaterial hast du verwendet?
Videoaufnahmen von einer nächtlichen Taxifahrt durch Shanghai, von einer Stadtautobahn in Bogotá während der Rushhour, von Frachtschiffen auf dem Rhein, von der Querung des Gotthard-Tunnels, außerdem Fotos aus Amsterdam, Hongkong, Paris, London, New York, Münster, Berlin, Frankfurt und – ja eben auch Marburg.
Warum integrierst du Bildmaterialien aus Shanghai und Marburg in der gleichen Arbeit?
Es spielt keine Rolle, woher die Aufnahmen stammen, wo sie gemacht wurden. Wichtig ist der Inhalt. Für eine Sequenz über extreme Urbanität brauche ich passendes Material, das finde ich nicht überall. Wir haben in Deutschland zum Beispiel keine Megastädte mit Einwohnern im zweistelligen Millionenbereich. Es gibt bei uns keine dreifach übereinander geführten 14-spurigen Autobahnen. Also greife ich auf Videos aus Städten zurück, in denen es solche Phänomene gibt. Das sind dann Orte wie Shanghai, Bogotá oder Hongkong. Es gibt natürlich noch viele andere, aber in diesen Städten bin ich halt gewesen. Die Verwendung von Fotos aus Marburg hingegen erklärt sich von selbst, weil diese Arbeit eigens für Marburg gemacht wurde und in dieser Form auch nur hier gezeigt wird.
Welches Bildmaterial aus Marburg hast du integriert? Wie können wir das erkennen?
Das sind die scharfkantigen, im Stil von Fotokopien bearbeiteten Fotos, die animiert über die Bildfläche ziehen. Bilder von Gebäuden, die im Stil des Marburger Brutalismus gebaut wurden – einer Architektur, die sich erstaunlicherweise ausgerechnet in dieser Fachwerkstadt verwirklichen durfte. Bauten wie die Post oder das Heizkraftwerk oder die Universität. Vor ein paar Tagen entdeckte ich beim Blick aus dem Hotelfenster eine klare, fast grafische Baukonstruktion am Stadtrand, die sehr selbstbewusst über die Ziegeldächer Marburgs ragte. Das offensichtlich leerstehende Gebäude lag da wie ein vernachlässigtes Juwel.
Welche Bildverbindungen machen für dich Sinn?
Ich arbeite assoziativ, polymorph, non-linear. Storytelling interessiert mich nicht. Ich lote die Verbindungsmöglichkeiten von Dingen aus, die auf den ersten Blick nicht zueinander gehören. Der Fokus liegt dabei auf Form und Struktur – gleich-gleich, aber auch Varianten, Abweichungen, bis hin zum äußersten Kontrast. Daraus ergeben sich Rhythmen, denen man sich idealerweise wie in einer Art Trance hingeben kann.
Wie wählst du aus, welche Animationen und welche Bewegungsmuster für dich Sinn machen?
Nicht zu viel nachdenken, sich treiben lassen, ausprobieren. In den Aufnahmen ist ja alles schon drin. Es muss nur sichtbar gemacht werden.
Wie und wann hast du dich entschieden, dass deine Arbeit fertig ist?
Gute Frage. Ist eine Arbeit denn überhaupt irgendwann fertig? Ich weiß es nicht, aber wahrscheinlich eher nicht. Mit etwas Abstand hat bisher noch jede Arbeit zu weiteren Ideen geführt. Deshalb würde ich sagen: Dies hier und jetzt ist der aktuelle Stand, so ist es gut, ein Statement. Aber es kann sich auch irgendwann zu etwas ganz Anderem hin entwickeln.
Warum denkst du, dass diese Arbeit gut zu Marburg passt?
Weil sie die Vorstellungen aufmischt, die man als Außenstehender von Marburg hat. Die Arbeit stellt Fragen, die man vielleicht nicht unbedingt mit dem touristischen Marburg verbindet. Zum Beispiel: Wie wollen wir leben? Wie können wir das angesichts des Klimawandels tun? Gibt es auch Schönheit in der Utopie?
Wie hast du den Ort für deine Installation ausgesucht?
Das war Zufall. Während meines ersten Besuchs im Januar kamen wir während einer Stadtbegehung an dieser Wand vorbei: groß, klar, zentral, gut einsehbar, mit der Möglichkeit zu verweilen. Keine historischen Zusammenhänge, wie sie in der Altstadt immer mitgedacht werden müssen. Also ein idealer Platz für eine freie, fließende Arbeit.
Was für Technik verwendest du? Wir nimmt die Technik Einfluss auf das Bildgeschehen?
Collage, Montage, Filter. Dinge zusammenbringen, die nicht unbedingt zusammengehören. Dadurch neue Strukturen und Rhythmen entwickeln, sich von dem, was die Aufnahmen zeigen, zu neuen Bildfindungen leiten lassen. Oft wird erst in der Bearbeitung sichtbar, was alles in einer Aufnahme steckt. Da wird es dann interessant, das muss man dann unbedingt weiterverfolgen.
Was ist wichtig, wenn es darum geht, eine Videoarbeit an eine Architektur-Oberfläche anzupassen?
Wir reden hier ja über einen ortsspezifischen Kontext, nicht über Autokino. Insofern müssen der Untergrund, die Struktur und die Fläche, auf die projiziert wird – und natürlich auch der Ort, an dem diese Projektion stattfindet – immer mitgedacht werden. Gibt es spezifische Besonderheiten? Gehe ich mit, verstärke ich oder ignoriere ich sie? Man kann sich so oder so entscheiden, aber man kann nicht so tun, als gäbe es keine Voraussetzungen. Es spielt eine Rolle, ob man hier in einer vergleichsweise kleinen Gasse steht und die Projektion nicht mit größerem Abstand sehen kann. Wichtig ist auch, dass man hier trotzdem noch eine Sicht auf den Straßenverkehr hat. Außerdem: dass die Wand gelb und nicht weiß ist. Dass es dieses stählerne Geländer oben unter der Wandoberkante gibt. Dass es verschiedenfarbige Türen mit Graffiti gibt und unregelmäßige Fensterreihen in knallblau. Alles das fließt in die öffentliche, wenn auch oft unbewusste, Wahrnehmung der Videoarbeit ein. Das muss ich bei der Anlage berücksichtigen.
Ohne die Unterstützung von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien im Rahmen von NEUSTART KULTUR wäre diese Installation nicht möglich gewesen. Was hat die die Förderung im Zusammenhang mit dem Projekt .KUNST.LABOR.STADT.PLATZ ermöglicht?
NEUSTART KULTUR ist eine einzigartige Fördermaßnahme der Bundesregierung, die Kunstschaffende, Kunstvermittler_innen, Museen, Ausstellungshäuser usw. in diesen schwierigen Corona-Zeiten bei konkreten Projektvorhaben finanziell unterstützt. Darüber hinaus vermittelt die Initiative vor allem auch lebensnotwendige positive Vibes: Aufbruch statt Lethargie, Zusammenarbeit statt Vor-sich-hin-wursteln, frischer Wind statt Netflix-Flaute. Ohne diese Förderung hätte „Re:mixed (Marburg)“ nicht realisiert werden können.
MARBURG800 ist nicht nur ein Stadtjubiläum, sondern auch eine große Zukunftswerkstatt für die Stadt Marburg. Dazu fragen wir alle Künstler_innen nach ihren Handlungsempfehlungen für die Zukunft. Magst du auch einen Vorschlag beisteuern?
Stabil bleiben. Weiterdenken. Spaß nicht vergessen.
FÖRDERUNG
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